Ein Abend, bei dem es auch um physikalische Experimente ging, war selbst eines: Die erste öffentliche Veranstaltung des kfd Diözesanverbandes Essen nach dem Corona-Lockdown. Am Sonntag, 06.09.2020 hatten sich 69 Frauen (und Männer) in der Phänomenta in Lüdenscheid zum frauenma(h)l anders eingefunden.
Und der Abend hatte viel Vorbereitung gefordert: natürlich inhaltlich und organisatorisch aber nun dazu noch unter Berücksichtigung aller Corona-Schutzvorschriften. Herr Schulze und sein Phänomenta-Team waren dabei sehr behilflich und alles, was das Haus und die Ausstellung bieten war perfekt vorbereitet. Desinfektionsspender, Anmeldelisten, Tische und Stühle auf Abstand großzügig verteilt, desinfizierte Mikrofone, Hinweise auf die Maskenpflicht in der Ausstellung…
Ab 18 Uhr trafen die Gäste ein und pünktlich um 18 Uhr 30 begrüßten die geistliche Leiterin des kfd-Diözesanverbandes Ulrike Fendrich und Frauke Westerkamp vom Diözesanvorsitzendenteam die Frauen und Männer der Initiative NichtMitUns aus Essen Burgaltendorf, der Bewegung Maria 2.0, die überwiegend aus dem Sauerland kamen und Frauen der kfd aus dem DV Essen und Paderborn. Vor fast einem Jahr haben wir gemeinsam zu einer Demo und Kundgebung vor dem Essener Dom aufgerufen und lautstark eine Erneuerung der Kirche gefordert. Eine Erneuerung der Kirche, in der Frauen Zugang zu allen Diensten und Ämtern haben, in der Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Nach dem 12. Oktober hatten wir vereinbart, weitere gemeinsame Aktionen folgen zu lassen und so wurde durch die kfd dieses Frauenmahl im Sauerland organisiert.
Kerstin Busch-Engelbrecht (Maria 2.0), Stefanie Hecke (NichtMitUns) und Frauke Westerkamp (kfd) stellten in kurzen Statements die Forderungen aus ihrer Sicht dar. So unterschiedlich sich das anhörte, so einig war die Zielsetzung: Gleich und berechtigt in einer Kirche, die unsere Kirche ist, anerkannt und wertgeschätzt zu werden, zu allen Diensten und Ämtern Zugang zu haben und mitzuwirken an der Aufarbeitung von Missständen bis hin zum Missbrauchsskandal, der 2018 aufgedeckt wurde.
Der Programmablauf sah dann den Gang durch die Phänomenta vor. Es sollte gezeigt werden, dass etliche der zu sehenden Exponate uns inspirieren können für unsere Forderungen. Sie können uns Hilfen sein, sie können uns Impulse geben für den Weg zu einer neuen Kirche, für unsere Fragen zur Geschlechtergerechtigkeit. Physik trifft Kirche:
Aufgeteilt in 4 Gruppen und begleitet von kfd-Frauen ließen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer überraschen: vom Foucaultschen Pendel
„Ein Foucaultsches Pendel ist ein langes, sphärisches Pendel mit einer großen Pendelmasse, mit dessen Hilfe ohne Bezug auf Beobachtungen am Himmel die Erdrotation (der Boden ändert seine Richtung, nicht das Pendel) nachgewiesen werden kann.“ Die Erkenntnis, dass die Erde sich dreht, bewirkte eine neue Sicht auf die Welt, die als beunruhigend empfunden wurde, argwöhnisch wahrgenommen wurde.
Für uns schließt sich die Frage an: In unserer Kirche haben wir eher den Eindruck, dass keine Bewegung geschieht. Alles scheint beim Alten zu bleiben. Wie kann Veränderung, Erneuerung von Kirche sichtbar, wahrnehmbar gemacht werden? Welche Bewegungen sind bisher festzustellen? Stellen Sie Veränderungen, Bewegungen fest? Gibt es Erneuerung? Für Frauen? Offiziell? In der Kirche? Für uns im Verband, in unseren Initiativen? ;
Von der Holzbrücke, die aus drei Brettern besteht und ihre Stabilität erheblich ändert, wenn sie ihre Form ändert. Liegt die Brücke nur an den Enden auf, biegt sie sich selbst bei leichten Personen bis auf den Boden durch. Klappt man die Seitenteile hoch, wird man feststellen, dass die Brücke jetzt mehrere Menschen trägt und dabei kaum noch durchhängt. Der Papst und auch ein Bischof ist ein Brückenbauer. Sie sind Vermittler zwischen Menschen und ihren unterschiedlichen Interessen. Die Erwartungen an Papst Franziskus waren Brücken in die Moderne. Menschen in Lateinamerika sehen ihn als Brückenbauer, weil er zu ihren Themen klar Position bezogen hat, in Europa gab es andere Erwartungen, die eher enttäuscht wurden. Welche Halterungen setzt er ein, um die Brücke, das Gebilde Kirche in Form zu halten und wo ist Flexibilität erwünscht?
Zeitverzögerung sichtbar machen, gelang vor einer Leinwand, auf der ein Film abläuft. Eine Kamera filmt die Situation vor der Leinwand. Die Betrachterin erkennt die anderen, sich selbst wieder, aber wird irritiert. Denn es sind nicht die gleichzeitig erfolgenden Bewegungen, sondern sie sieht Bewegungen, die sie kurz zuvor gemacht hat. Die Kamera nimmt die Bilder in Echtzeit auf und ein Projektor gibt diese zeitverzögert wieder. Alles, was zu sehen ist, ist schon einige Sekunden vorher geschehen. Die Verzögerung entspricht dem Zeitraum, den das Licht braucht, um von der Erde zum Mond und wieder zurück zu gelangen. Was kann uns so ein Exponat zeigen, im Hinblick auf unsere Situation als Frauen in der Kirche? Es gibt ein Wort, das im Kontext von Kirche immer wieder auftaucht: Ungleichzeitigkeit. Während zum Beispiel hier in der westlichen Welt Frauen für die Weihe von Frauen zu Diakoninnen streiten, sich für den Zugang von Frauen zu allen Diensten und Ämtern einsetzen, gibt es in anderen Bereichen der Kirche / Weltkirche diese Bestrebungen nicht. Auch innerhalb von Pfarreien können wir eine Ungleichzeitigkeit beobachten. An der einen Stelle wollen Menschen eine priesterzentrierte Kirche wie vor 50 Jahren bewahren, an einer anderen Stelle übernehmen Lai*innen Verantwortung und leitende Aufgaben. Dieses Modell kann als Veranschaulichung der Ungleichzeitigkeit von Kirche dienen, es kann zeigen, wie schwierig es ist, gemeinsam etwas auf den Weg zu bringen, aufzubrechen, nach vorne zu schauen. Und es kann ein Impuls für die Betrachterin sein, in sich zu gehen, zu überlegen, was aus der Vergangenheit sie daran hindert, loszugehen, an welchen alten Strukturen, Mustern sie noch hängt, auch ein Impuls, Neues umzusetzen.
Ein Komplementärkontrast wird in einer Übung verdeutlicht: Wir stehen vor einem kleinen Bild mit einem Ring aus Roten Punkten, einem Kreuz in der Mitte. Die Aufgabe lautet: Blicken Sie intensiv auf das Kreuz. Es erscheinen grüne Punkte. Es gibt drei Grundfarben, rot, gelb und blau. Alle anderen Farben lassen sich daraus mischen. Es gibt einen interessanten Effekt: Schaut der Mensch intensiv auf eine rote Fläche, dann erscheint nach einer Weile vor seinem Auge ein grüner Fleck (grün, Mischung aus gelb und blau). Hier spricht man vom Komplementärkontrast. Das Gehirn ergänzt die fehlenden Grundfarben. Es komplettiert. Es hat „Sehnsucht“ nach dem Ganzen. Das funktioniert bei den anderen Farben genauso. Für uns als Frauen in der Kirche kann das auch etwas zeigen: Gott hat Mann und Frau geschaffen, mit beiden – und mit vielem anderen – ist die Schöpfung komplett. Das gemeinsame Wirken von Mann und Frau in der Kirche, erst das ergibt ein Ganzes.
Beindruckt und mit viel „Austauschbedarf“ ging es zurück an die Tische, die mittlerweile mit einzelnen Tellern eingedeckt waren. Köstlichkeiten vegetarisch oder mit Fleisch waren für jede und jeden extra bereitgestellt und in Folie verpackt. Nach dem Tischgebet konnten sich alle damit stärken.
Der Höhepunkt des Abends war dann die Tischrede der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der kfd , Prof. Dr. Agnes Wuckelt, die gerade 2 Tage zuvor als Moderatorin (zusammen mit Weihbischof Zekorn aus Münster) der Regionenkonferenz des synodalen Wegs in Dortmund eingesetzt war und damit –nach eigenen Worten- sehr vorbildlich bewiesen hatte, wie gut Frauen und Männer zusammenwirken können.
Mucksmäuschenstill verfolgte das Auditorium ihren -frei gesprochenen- Worten. Sie beginnt mit dem Hinweis auf eine Inschrift in den vatikanischen Grotten. Dort steht in lateinischer Sprache, dass Frauen der Zutritt zu den Papstgräbern nur am Tag nach Peter und Paul gestattet ist. An diesem einen Tag ist der Zutritt für Männer verboten. Und der Antwort von Papst Franziskus auf eine Journalistenfrage zum Zugang zu Diensten und Ämtern für Frauen in der Kirche: Diese Tür ist verschlossen. Die Regionenkonferenzen des synodalen Weges, die Wuckelt als Geschenk von Corona bezeichnet, weil es in den kleineren Einheiten zumindest in Dortmund viel besser zu konstruktivem Austausch kam, zeigten aber sehr deutlich und mit 90%iger Zustimmung, dass dieser Zugang geschaffen werden muss und zwar sofort. Die Frauen, die an dem vorgelegten Papier gearbeitet haben, fanden sehr deutliche Worte und machten deutlich dass sie „so langsam die Nase voll“ haben. „Wovor haben wir eigentlich Angst?“ zitierte Wuckelt eine Ordensschwester. „Ändert das Bestehende und zwar sofort“; „Wenn wir doch wissen, was alles schon jetzt nach Kirchenrecht möglich ist: warum machen wir das nicht?“
Und so sei eigentlich das Problem mit der vielzitierten „Frauenfrage“ gar nicht mehr die größte Schwierigkeit. Ganz anders als die Thematik des synodalen Forums „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft”. Hier seien sehr viel Emotionen, Gefühl und vor allem Machtpositionen in der Diskussion dabei. Und es sei bislang noch nicht einmal eine Sprache gefunden, die die Menschen verstehen können und damit deutlich machen kann, dass Kirche nicht „neben dem eigentlichen Leben“ steht, sondern vielmehr Menschen in ihrem Leben begleitet.
Gerade in diesem Forum sei die Hauptfrage, so Wuckelt, wie finden wir eine gemeinsame Sprache und wie können wir insbesondere die Kirchenmänner mitnehmen. Was machen wir mit den Reformverweigerern und nehmen wir ggfls. Minderheitenvoten in Kauf.
Im Bistum hängt jede Reform davon ab, was der Bischof zulässt. Und dann appelliert die kfd-Frau an uns alle: „Wir sind Kirche. Wir müssen uns selbst ermächtigen. Die Zeit abzuwarten, bis wir dürfen, ist verstrichen. Die Frauen, die vor 100 Jahren für das Frauenwahlrecht gekämpft und es letztendlich durchgesetzt haben, wollten auch nicht mehr warten. Auch sie haben sich selbst ermächtigt. Und das können wir auch in Kirche tun. Wie mutig sind wir und übernehmen das, was unsren Charismen entspricht ab sofort?“
In starken Frauenverbänden und durch geistliche Leiterinnen oder Begleiterinnen ist das schon gelebte Praxis. Diese und auch andere Frauen können in der Gemeinde wichtige Zeichen setzen, dass Frauen in der Kirche gleichberechtigt Platz einnehmen. Eine Frau im liturgischen Gewand, als Predigerin oder als Domkapitularin ist ein Bild, das sagt: Es geht….“ Das Purpurkreuz am Revers ist Einstieg zu einem Gespräch. Der Weltgebetstag ist so ein „Frauenort“ der mit Selbstermächtigung zu tun hat. Sie sei zuversichtlich, dass wir uns durch den synodalen Weg kämpfen werden. Er ist die letzte Chance….Aber sie werden uns nicht los….
Sie rief die Frauen auf, dem Bundesverband der kfd aber auch dem synodalen Weg Botschaften und Stimmen mitzugeben um die Akteurinnen und Akteure dort in ihren Bemühungen zu stärken.
So „aufgerüttelt“ wurde der Abend nach dem Dank an alle, die zum Gelingen beigetragen hatten, mit einem Gebet und dem Segen beendet und alle auf den Heimweg entlassen nach 2 ½ sehr intensiven Stunden.
Frauke Westerkamp